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Auch SZ preist neuen Krimi
Sanfter Spott! —- Vier Leichen gleich am Anfang. Drei erschossene Marokkaner in einem Auto, der vierte Tote ist ein französischer Radfahrer, der zufällig des Wegs kam. Überlebt hat nur die sechsjährige Kalila, weil sie sich in einem Hohlraum hinter den Rücksitz versteckt hat und erst nach einigen Stunden von der Polizei gefunden wird. Gut möglich, dass Ulrich Wickert an den Vierfachmord im September 2012 auf einem Waldparkplatz in der Nähe der ostfranzösischen Stadt Annecy dachte, als er seinen fünften Krimi „Das marokkanische Mädchen“ (Hoffmann und Campe 2014) konzipierte. Im Gegensatz zur realen, bislang vergeblich ermittelnden Polizei gelingt es Untersuchungsrichter Jacques Ricou sehr wohl, die Fäden zu entwirren, auch wenn er lang im Dunkeln tappt und falschen Fährten nachspürt. 2003 schrieb der frankophile Tagesthemen-Moderator Wickert seinen ersten Jacques-Ricou-Krimi, nachdem er bereits einige Sachbücher veröffentlicht hatte. Die tiefe Sympathie für Frankreich nahm wohl in der Schulzeit ihren Ursprung, vertiefte sich, als er als ARD-Korrespondent und Studioleiter in Paris arbeitete. Und er ist wirklich vertraut mit der Stadt und ihren Menschen, kennt die Viertel, die Straßen und natürlich die Restaurants – gutes Essen und noch besserer Wein ist Jacques Ricou durchaus wichtig. Amüsant auch, wie der inzwischen 71-jährige Wickert seine Figuren über französische Politiker parlieren lässt. Nie verletzend oder gar böse, das würde auch nicht zum Autor passen, sondern mit sanftem Spott. Beispielsweise über den Moment, als am französischen Wahlabend 2012 Valérie Trierweiler den frisch gekürten Präsidenten vor laufenden Kameras anherrschte: „Küss mich auf den Mund!“, bloß weil es François Hollande gewagt hatte, Ségolène Royal, die Mutter seiner vier Kinder, in Siegerlaune zu umarmen. Auch Wickerts Untersuchungsrichter schätzt Frauen, muss sich allerdings anfangs ziemlich über seine Ex-Freundin Margaux ärgern, eine recherchefreudige Journalistin, die ihn in einem Artikel als Lifestyle-Richter tituliert. Doch natürlich, die Morde werden auch aufgeklärt. Aber wegen der Spannung muss man den Krimi nicht unbedingt lesen. Vergnüglich dagegen sind die netten Plaudereien über Gott und die Welt, die das Nachbarland auf eine unaufdringliche Art näher rücken. Und natürlich auch den Untersuchungsrichter, der lang ermitteln muss, bis er endlich wieder geruhsame Nächte hat. SABINE REITHMAIER