Ulrich Wickert

Artikel von mir

Das Autorisieren ist kein leerer Wahn

23.07.2008, FAZ

Live ist am besten. Da weiß jeder, woran er ist, der Befragte und der Journalist. Live habe ich allerdings auch meine größte Niederlage erfahren, als ich Regine Hildebrandt, der engagierten Sozialministerin von Brandenburg, eine kurze Frage in den „Tagesthemen“ stellte. Sie antwortete sechs Minuten lang mit solcher Verve, ohne Punkt, Komma oder Strich, dass ich nicht dazwischen kam. Da hatte ich wohl die falsche Frage gestellt. Vier Minuten hatten wir für das gesamte Gespräch vorgesehen.

Ein live geführtes Interview in den elektronischen Medien braucht nicht autorisiert zu werden; denn es ist ja sichtlich authentisch. Es verlangt von dem Befragten zwar eine gewisse Konzentration darauf, was er sagen will – und was nicht. Aber auch der Journalist, will er sich nicht blamieren, muss gut vorbereitet sein, denn geht er von falschen Voraussetzungen in einer Frage aus, kann er sich nicht mehr korrigieren. Ein Vorteil von live liegt für uns Journalisten außerdem darin, dass – nehmen wir an, der Befragte sei ein Politiker – dieser reagieren muss. Wie auch immer. Und seine Reaktion wird einiges über ihn verraten.
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Falsch gefragt, Herr Wickert!

Bundeskanzler Gerhard Schröder war nach einem Jahr Amtszeit 1999 auf dem Tiefpunkt der Zustimmung angekommen. In den „Tagesthemen“ fragte ich ihn: „Haben Sie als Parteivorsitzender versagt?“ Er nahm die Kritik auf, als er auch antwortete: „Versagen ist vielleicht ein zu hartes Wort, aber…“ Seine Antwort hätte ich auch in einem schriftlich bearbeiteten Interview stehenlassen.

Angela Merkel dagegen beherrscht die Kunst, eine Frage nicht zu beantworten. Deshalb sagte ich einmal zu ihr live: „Sie haben meine Frage jetzt aber nicht beantwortet.“ Sie antwortete lakonisch: „Ja.“ So kann’s gehen. Das wirkt dann wie eine Watsche. Falsch gefragt, Herr Wickert! Vielleicht hätte ich dieses für mich peinliche Geplänkel in ein gedrucktes Interview gar nicht aufgenommen.Nun lassen sich nicht alle Gespräche in den elektronischen Medien live führen. Viele werden aufgezeichnet. Und dann besteht die Möglichkeit des Schnitts. Ein Schnitt sollte eigentlich nur mit der Zustimmung des Befragten gemacht werden. Manchmal bittet der Politiker sogar darum.

Max Streibls Feierabendlaune

Der bayerische Ministerpräsident Max Streibl, so wusste man in Fachkreisen, sei besser vor sieben Uhr abends zu interviewen, später schlage seine Feierabendlaune durch. Als Bundespräsident Richard von Weizsäcker in Zeiten zunehmender rechter Gewalttaten zu einer Großdemonstration in Berlin aufrief und sogar Bundeskanzler Helmut Kohl seine Teilnahme zusagte, wurden beide von Streibl heftig kritisiert. Die „Tagesthemen“ baten Streibl deshalb zu einem Interview. Als ich ihn dann bei der Aufzeichnung fragte, weshalb er sich gegen diese Demonstration ausspreche, obwohl doch Präsident und Kanzler daran teilnähmen, antwortete Streibl, es gebe ein schlechtes Bild ab, wenn die Demonstranten schreiend durch die Straßen zögen. „Wie?“, fragte ich nach, verblüfft von der Vorstellung, Bundespräsident und Bundeskanzler liefen schreiend durch die Straßen. Streibl hatte sich – schon in Feierabendlaune – vergaloppiert. Er bat, diese Passage zu schneiden. Damals haben wir bedauert, nicht live gesendet zu haben. Aber natürlich haben wir aus Gründen der Fairness geschnitten. Ein Politiker kann sich versprechen und dann den Schnitt, so er möglich ist, erbitten.

Nun habe ich nicht nur Interviews geführt, sondern bin auch häufig selbst befragt worden. Auf der anderen Seite stehend, habe ich so manches Mal mein Gegenüber verflucht. „Herr Wickert, jetzt haben auch Sie ein Buch geschrieben, worum geht es denn darin?“ Es war mein zehntes Buch. Den Titel konnte der Kollege nicht korrekt nennen, wohl nach dem Motto: Ich will mal ganz unbefangen fragen, deshalb habe ich mich nicht vorbereitet.

Fragen ohne zu wissen

Vor wenigen Tagen befand ich mich bei einer Veranstaltung der italienischen Motorbootfirma Riva. Für viele ein Kultobjekt: Eine Riva kommt in meinem neuen Krimi vor, der Bösewicht fährt. Überall stand bei dieser Veranstaltung der Schriftzug Riva. Da kam eine Kollegin der „Hamburger Morgenpost“ auf mich zu und stellte mir eine banale Frage nach dem Sommerurlaub. Ich versuchte ihr zu erklären, was mein Bezug zur Riva sei. Sie antwortet nur: „Was ist Riva?“ In solchen Augenblick fällt es schwer, mild und freundlich zu bleiben. Aber genau solch völlig uninformierte Journalisten erleben Politiker in Berlin jeden Tag, wenn sie durch das Spalier der Mikrofone und Kameras gehen.

Ach Gott, da erinnere ich mich an die peinliche Situation, als Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, nach einem rechtsradikalen Anschlag zur Synagoge in Düsseldorf kommt und eine Journalistin ihn fragt: „Herr Pfarrer Spiegel…“ Ein leitender Redakteur einer jungen deutschen Wochenzeitschrift bat mich kürzlich um ein Interview. Ja, ich erhielt das Gespräch zum Autorisieren, änderte die eine oder andere Antwort, um sie unterhaltsamer, griffiger zu formulieren. Mir gefiel, was dabei rauskam. Davon erschienen aber nur wenige Zeilen und meine Antworten wirkten nun wie Gestammel – so armselig, dass ich es nie freigegeben hätte. Ja, pardon, so der Kollege hinterher, er habe nicht gewusst, dass sein Interview mit mir lediglich für eine Rubrik geplant war, in der nur drei Fragen erlaubt sind.

Sätze ohne Zusammenhang

Ähnlich kann es gehen, wenn ein Fernsehteam ein halbstündiges Gespräch aufnimmt, von dem nachher dreißig Sekunden gesendet werden. Da möchte man eigentlich vorher wissen, in welchem Zusammenhang der eigene Satz stehen wird, aber meist wird einem die Chance dazu nicht gegeben. So befragte mich Thomas Leif, der Vorsitzende von „netzwerk recherche“, bei der Eröffnung des vom Holtzbrinck-Verlag eingerichteten Nachrichtenportals zoomer.de zu meiner Position zum Streitthema öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Internet. Darüber mache er einen Film für die ARD.

Nun bin ich Herausgeber dieses privatwirtschaftlichen Nachrichtenportals und erklärte ihm, ich nähme trotzdem eine „öffentlich-rechtliche“ Position ein, denn ich persönlich legte mehr Wert auf Qualität des Inhalts als auf eine marktwirtschaftliche Sichtweise. Leif fragte so herum und fragte andersherum. Ihm schien meine Antwort nicht zu passen. Später erfuhr ich, dass sein Kameramann auch filmte, als wir uns nicht mehr in der Interviewsituation befanden. Was der Reporter aber im Kasten hat, kann er beliebig einsetzen. Da wünsche ich mir schon eine Autorisierung. Aber praktisch, das weiß ich, lässt sie sich nicht durchführen.

Kein Ende der Meinungsfreiheit

Es wundert mich also nicht, wenn Befragte – ob Politiker oder Banker, Schauspieler oder Autoren – auf der nachträglichen Genehmigung bestehen, denn häufig werden sie in ein stundenlanges Gespräch verwickelt. Was man da nicht so alles sagt! Dann setzt sich der Journalist in der Redaktion hin und „baut“ aus dem, was er von seinem Aufnahmegerät abgeschrieben hat, nach dramaturgischen Gesichtspunkten ein Gespräch, das in dieser Form nie geführt worden ist. Ich selber habe erlebt, dass in dem mir zur Genehmigung vorgelegten Text plötzlich Fragen standen, die mein Gegenüber nie gestellt hatte, die jetzt aber ganz witzig klangen. Als Antwort hatte der Interviewbearbeiter auf die nie gestellten Fragen einige Sätze aus dem Gespräch eingefügt, die nur ungefähr zu den am Schreibtisch ausgetüftelten pfiffigen Fragen passten.

Wer sich über die Autorisierung von Interviews beklagt, der braucht sie ja nicht so führen, sondern er bietet Waffengleichheit an: Das ganze Interview wird „wie live“ aufgenommen und dann auch so gedruckt. Mit allen Fragen und Antworten, wie sie gesprochen wurden. Das geht. Es liest sich manchmal jedoch sehr viel langweiliger als ein genehmigter, also bearbeiteter Text. Aber so zu tun, als drohe durch die Bitte um Genehmigung das Ende der Meinungsfreiheit, empfinde ich als weinerlich. Denn zu diesem Zustand hat die Verlotterung der Sitten unter uns Journalisten selbst beigetragen.

Ulrich Wickert war von 1991 bis 2006 Moderator der „Tagesthemen“ im Ersten. 2007 erschien das Buch „Gauner muss man Gauner nennen. Von der Sehnsucht nach verlässlichen Werten“. Wickerts heutiger Beitrag zur Autorisierung von Interviews antwortet auch auf die Artikel von Olaf Sundermeyer und Dirk Metz.

Von Ulrich Wickert / Text: F.A.Z.