Artikel über mich
Das wundersame Triebwerk
30.11.2012, SZ
Ulrich Wickert, der ehemalige „Tagesthemen“- Moderator und Weltenbummler, wird 70
Wenn einer erzählte, er kenne den Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert persönlich, fragten die Leute meist: ‚Wie ist er denn wirklich im Leben?‘ Eigentlich eine komische Frage, aber im Fall Wickert ließ sie sich leicht beantworten: ‚Genau so‘. Er war im Studio so wie beim Anstehen im Geschäft, wenn er Gemüse kaufte: charmant, sehr gelassen und erstaunlich normal.
Seit 2006 ist der Mann, den viele Blätter ‚Mister Tagesthemen‘ nannten, aus Altersgründen nicht mehr Moderator der Sendung, der er anderthalb Jahrzehnte als eine Art Weltendeuter und Conférencier zugleich das Gesicht gab. Aber sein Interesse an all dem Gewese hat er auch als Moderator a. D. nicht verloren. Wickert nennt sich selbst einen ‚Nachrichtenversessenen‘.
Morgens liest er immer noch fünf Zeitungen – darunter Herald Tribune und Le Monde. Abends schaut Wickert Tagesschau, Tagesthemen und Dokumentationen bei Arte, die bei ARD und ZDF nicht mehr zu finden sind. Für eine Serie, die angeblich einen Blick hinter die Kulissen des Politikgeschäfts in Dänemark wirft, kann er sich echt begeistern.
Wickert hat eine Büchersendung im Hörfunk, er schreibt weiter Bücher, die sich ziemlich gut verkaufen, er trifft in Berlin Politiker, mit denen er über Politik spricht. Er ärgert sich öffentlich, wenn ein Brennpunkt nicht gemacht wurde, oder wenn Informationssendungen angeblich nicht ordentlich oder nicht ausführlich genug informieren. Früher hat er intern gemosert, jetzt kritisiert er von außen, was für ihn keinen Unterschied macht.
Eigentlich ist alles wie immer. Das wundersame Triebwerk Wickert läuft weiter: Er spielt Tennis, er joggt, er ist gesund und vor ein paar Monaten wurde Wickert, der in dritter Ehe mit der dreißig Jahre jüngeren Top-Managerin Julia Jäkel, 40, verheiratet ist, Vater von Zwillingen. Allein dieser Umstand deutet an, dass er, obwohl er nicht an Gott glaubt (‚Er spricht nicht mit mir‘) ziemliches Gottvertrauen haben muss.
Das Erstaunlichste an dem Weltenbummler, über den es viele Geschichtchen gibt, die erstaunlicherweise meist mit seinem speziellen ‚Guten Abend!‘ oder seinem Wunsch nach einer geruhsamen Nacht zu tun haben, und vor allem mit der Szene, wie er mal unversehrt über die stark befahrene Place de la Concorde schlenderte, sind sein rheinischer Optimismus und der nie beirrte Glaube an den Sinn journalistischer Arbeit. Denn in der Regel schwindet mit dem Alter der Glaube an die Aufklärung – zehn Jahre lang Korrespondent in Frankreich, und die Leute erinnern sich, wie er über die Straße ging. Zynismus wird in diesem Beruf Erfahrung genannt, Resignation als Realismus bezeichnet. Es gibt Chefredakteure, die während der Redaktionskonferenzen schon mal in Stücke gerissene Zeitungsseiten kauten (Nichts merkwürdiger als der Mensch, insbesondere, wenn er Journalist ist). Aber Wickert gehört zu den Glücklichen, die einen Sinn in all dem Schaffen erkennen können.
Vielleicht liegt so viel Spaß an Arbeit auch in der Familie. Der 2008 verstorbene Vater Erwin, ein begnadeter Wanderer zwischen Diplomatie und Schriftstellerei, hat noch gearbeitet, als er die 90 schon überschritten hatte. Sein Sohn Ulrich feiert am Sonntag Geburtstag. Er wird 70 Jahre alt.
Hans Leyendecker