Artikel über mich
Ich musste die Namen der Zechpreller sortieren
22.10.2010, sueddeutsche
Lohnende Studentenjobs und einen Ruf als Lebemann: Der ehemalige „Tagesthemen“-Anchorman Ulrich Wickert über Angst als Antrieb, peinliche Auftritte – und warum er nicht Porsche-Chef wurde.
Ulrich Wickert, 67, steht noch keine fünf Minuten vor einem Hotel in einer Seitenstraße von Regensburg, da haben ihn schon drei verschiedene ältere Damen angesprochen: „Oh, guten Morgen, Sie kenne ich doch aus dem Fernsehen!“ Er nickt jedes Mal freundlich. Zwischen 1991 und 2006 wurde Wickert als Mister Tagesthemen bekannt, der seinen Zuschauern am Schluss der Sendung immer „eine geruhsame Nacht“ wünschte. Inzwischen schreibt der frühere Auslandskorrespondent Sachbücher und Krimis. Eine steile Karriere für einen, der gar nicht Journalist werden sollte – sein Vater, der Diplomat und Autor Erwin Wickert, war dagegen. Auch beim Geld kriegten sich Vater und Sohn oft in die Haare.
SZ: Ulrich Wickert, reden wir über Geld. Hatten Sie in Ihrem Leben mal so wenig davon, dass Sie Angst hatten, jetzt geht es nicht weiter?
Wickert: Nein. Nicht mal am Tag meines Juraexamens. Mein Vater sagte nur: Ab heute kriegst du kein Geld mehr.
SZ: Einfach so?
Wickert: Er verstand es als pädagogische Maßnahme. Er dachte, ich würde sofort mein Rechtsreferandariat beginnen, wie er es wollte.
SZ: Und, taten Sie es?
Wickert: Nein. Ich ging Skifahren. Um ihm zu zeigen, ich mach mein Ding. Obwohl ich mir dafür Geld leihen musste.
SZ: Ihr Vater wollte nicht, dass Sie Journalist werden?
Wickert: Ich sollte Diplomat werden, wie er. Wollte ich ja auch. Aber mit Anfang 20 merkte ich, in so eine Behörde, in der ich eine Beamtenleiter hochklettern muss, passe ich nicht. Das fand ich gruselig. Ich wollte frei sein und wurde wahrscheinlich aus Zufall Journalist.
SZ: War Ihr Vater enttäuscht von Ihrer Entscheidung?
Wickert: Wir hatten eine Phase, in der wir, sagen wir mal, eine große Distanz zueinander hatten.
SZ: Spätestens seit Sie 1991 anfingen, die Tagesthemen zu moderieren, kannte Sie in Deutschland jeder. Die Aufmerksamkeit ist sicher toll. Aber nervt sie auch manchmal?
Wickert: Mir war nicht klar, wie ausgeprägt es werden würde. Auf einen Schlag konnte ich nirgends mehr hin, ohne angesprochen zu werden. Am Anfang fühlte ich mich geschmeichelt. Irgendwann merkte ich, die Leute meinen nicht mich, sondern die Fernsehfigur.
Reden wir über Geld: Ulrich Wickert „Ich musste die Namen der Zechpreller sortieren“
SZ: Geben Sie es ruhig zu, Sie genießen es auch. Journalisten sind doch eitel.
Wickert: Nein, ich bin wirklich kein eitler Mensch. Als ich im Journalismus anfing, war das ein Beruf, den man nach Ansicht bürgerlicher Eltern nicht ergreifen sollte. Mein Vater schrieb mir damals einen Brief, ich würde einen großen Fehler machen und es später einmal bereuen.
SZ: Ihr Vater war streng mit Ihnen.
Wickert: Ich habe ihn auch oft genug geärgert. Als Student bekam ich 250 Mark, nicht gerade viel. Den Scheck musste ich jeden Monat bei ihm abholen. Er fragte dann jedes Mal, wie lange ich noch fürs Studium brauchen würde.
SZ: Wie schrecklich. Und wie haben Sie ihn geärgert?
Wickert: Ich kam immer erst so um den 10. des Monats, um das Geld abzuholen, und nicht schon am ersten. Ich wusste, dann würde er denken: Der hat das wohl nicht nötig, der Bengel.
SZ: Kamen Sie damit aus?
Wickert: Nein. Ich habe für ausländische Gäste der Bundesregierung übersetzt, die in Deutschland zu Besuch waren, das konnte oft lustig sein. Einmal sollte ein indonesischer Gast mit einem Referenten im Auswärtigen Amt sprechen, die beiden konnten aber nichts miteinander anfangen. Da habe ich das Gespräch frei erfunden. Statt „Was will der eigentlich von mir?“ übersetzte ich: „Ihr Gegenüber begrüßt Sie ganz herzlich…“
SZ: Großartig. Wieviel verdienten Sie?
Wickert: 50 Mark am Tag, später sogar 70. Äußerst wichtig war auch, ich durfte mit den Leuten essen gehen, in ordentliche Lokale. Hervorragend, denn ich war immer hungrig.
SZ: Hatten Sie andere Jobs?
Wickert: In den USA habe ich am Empfang eines vornehmen Hotels gearbeitet, die Kennedys übernachteten da und Leute aus Hollywood. Einmal kam ein junger Mann und erkundigte sich bei mir, ob Post für ihn da sei. Ich fragte ihn nach seinem Namen. Da drehte er sich wortlos um und ging. Es war der amerikanische Schauspieler Warren Beatty. Nach diesem Faux-pas wurde ich aus dem Publikumsverkehr gezogen und musste die Namen der Zechpreller sortieren.
SZ: Das war es dann mit Ihrer Karriere als Hotelier. Hatten Sie sonst mal Angst, zu versagen?
Wickert: Während meiner Ausbildung nicht. Die Schule habe ich gehasst, in Latein hatte ich immer Sechser. Einmal bekam ich eine Fünf, da war ich schon stolz. Zu Hause gab es trotzdem Ärger, ich war ganz überrascht. Auch in der Uni hatte ich wenig Ehrgeiz. Ich wollte zuerst leben, dann arbeiten, erst dann studieren. Versagensangst lernte ich erst später kennen, im Beruf.
SZ: Wie war das?
Wickert: Als ich meinen ersten Film machte, wusste ich noch kaum, wie das ging und ob ich bestehen würde. Die ganze Redaktion guckte drauf, mein Gott! Eins habe ich dabei gelernt – Angst kann ein gutes Triebmittel sein. Ich recherchierte noch mehr, arbeitete wie ein Besessener, fragte mich: Wie kriege ich es hin, damit der Film gut wird?
SZ: Und, war er gut?
Wickert: Claus-Hinrich Casdorff von der Sendung „Monitor“ zerriss meine ersten Texte, weil sie so schlecht waren. Aber dann setzte er sich hin und arbeitete den neuen Text mit mir gemeinsam aus. Drei, vier, fünf Stunden lang. So habe ich es gelernt. Das rechne ich ihm hoch an, bis heute.
SZ: Ist auch mal was richtig schief gegangen in Ihrer Karriere?
Wickert. Oh ja, viel. Etwa beim Weltwirtschaftsgipfel in Köln. Ich interviewe gerade live den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Da kommt Jacques Chirac, ich ruf ihm hinterher: „Monsieur le Président!“ Chirac guckt gar nicht nach mir; Schröder feixt: „Na, Ihr Französisch scheint nicht mehr gut genug zu sein“. In diesem Moment kommt Bill Clinton, ich wieder hinterher. Da heben mich seine Bodyguards hoch, einer rechts, einer links, und stellen mich neben der Kamera wieder ab. Alles live, in der Sendung! Wie peinlich.
SZ: Ist Angst Ihr Hauptantrieb?
Wickert: Nein, Triebkraft Nummer eins für mich ist die Lust. Wenn ich etwas wirklich tun will, arbeite ich 14, 15 Stunden, das Wochenende durch. Weil es Spaß macht. So erreicht man auch was. Ein Beispiel: Frankreich, in den 1970er Jahren, ich wollte während eines Wahlkampfs unbedingt den Spitzenkandidaten interviewen, aber der wollte nicht.
SZ: Was haben Sie gemacht?
Wickert: Ich bin mit einem Blumenstrauß zu seiner Frau gefahren. Die hat mir dann verraten, dass er sonntags um 10 in die Messe gehen würde. Also war ich da und es klappte. Großartig, das empfinde ich wie Räuber und Gendarm spielen. Menschen, die etwas aus Lust tun, sind zufriedener.
SZ: Wer sich von der Lust antreiben lässt, wird aber nicht unbedingt reich.
Wickert: Stimmt. Wäre mir Geld wichtig gewesen, wäre ich zum Beispiel Porsche-Chef geworden.
SZ: Porsche-Chef, Sie?
Wickert: Ja. Ich habe Herrn Wiedeking kennengelernt, der bis 2009 äußerst erfolgreicher Porsche-Chef war. Er sagte mir, er habe nur ein Ziel im Leben gehabt, und zwar, Geld zu verdienen. Dem ging es nicht darum, am Wochenende Golf zu spielen. Er wollte reich werden. Hat auch funktioniert, für Wiedeking.
SZ: Und Sie, schätzen Sie Luxus?
Wickert: Ach wissen Sie, ich fahre ein Auto, das 20 Jahre alt ist, einen Saab 900.
SZ: Um Gotteswillen Herr Wickert, Sie gelten doch als Lebemann! Stimmt das gar nicht?
Wickert: In Deutschland ist man gleich ein Lebemann, wenn man etwas von Käse versteht. Ich hab keinen Château Lafite im Keller. Der ist mir zu teuer, ich trinke lieber einen gängigen Château Thuerry. Der kostet nicht 200, sondern 10 Euro.
SZ: Verschmähen Deutsche Genuss?
Wickert: Aber nein, die deutsche Küche hat köstliche Rezepte! Lüngerl mit Semmelknödel, das ist doch wunderbar! Der französische Essayist und Lebemann Montaigne ritt durch ganz Europa und schrieb in sein Tagebuch, in Deutschland habe er besser gegessen und getrunken als in Italien.
SZ: Sie lebten in Frankreich, den USA und Japan. Wo fühlen Sie sich zuhause?
Wickert: Heimat ist für mich der Ort, an dem ich Gefühle habe und das ist Deutschland. Wenn eine rechtsradikale Partei in den Landtag kommt, ärgere ich mich maßlos. Wenn in Frankreich Le Pen in den zweiten Wahlgang kommt, sage ich mir, das kann ich politisch erklären.
SZ: Bis Sie 40 waren, zogen Sie ständig um. Jetzt leben Sie seit fast 20 Jahren in Hamburg. Eine ganz schöne Umstellung, oder?
Wickert: Oh ja, ich halt’s nur schwer aus! Nie in meinem Leben habe ich so lang an einem Ort gewohnt. Gerade bin ich zumindest innerhalb Hamburgs umgezogen. Nur 500 Meter weiter, aber selbst das tut schon gut.
SZ: Was soll denn bitte am Umziehen schön sein?
Wickert: Neue Menschen, eine andere Umgebung, das ist finde ich spannend. Früher habe ich mit jedem Umzug ein paar Denkhemmungen abgelegt. Die ergeben sich ja automatisch durch die Kultur des Kollektivs, in dem man lebt. Wer gar nicht rauskommt, merkt es nicht mal.
SZ: Wie meinen Sie das?
Wickert: Aus meiner Studienzeit in den USA hab ich den Begriff der Freiheit mitgenommen. Für mich war das so wichtig, dass ich mein Berufsziel änderte…
SZ: …und Journalist wurden statt Diplomat, richtig?
Wickert: Genau. Aber diesen Drang, ständig umzuziehen, habe ich sicher vom Zigeunerleben meiner Eltern.
SZ: Geboren sind Sie in Japan. Wie war es, nach Deutschland zu kommen?
Wickert: Ich war fünf, wir kamen mit dem Schiff in Bremerhaven an. Dort standen irgendwelche Leute, die sagten, sie seien Tanten und Omas. Nie gesehen, aber ich dachte mir: na gut. Wir zogen zu ihnen ins Sauerland.
SZ: Wie reagierten die Kinder dort?
Wickert: Die fanden meinen älteren Bruder und mich komisch. Wir haben in einer sehr hohen Stimmlage gesprochen, das machen Kinder in Japan so. Und wir kannten Spiele mit Tigern und Bären, die keines der Kinder im Sauerland verstanden hat. Wir waren die Japaner für sie.
SZ: Ist die Familienbindung enger, wenn man so oft umzieht?
Wickert: Ganz sicher. Aber das wichtigste, das ich von zu Hause mitgenommen habe, war das Selbstvertrauen, keine Angst vor Hierarchien zu haben. Ein Beispiel: Ich war 14, Konfirmand, und ein Hampelmann. Habe dem Pfarrer in den Mantel geholfen, aber gleichzeitig den Ärmel zugehalten. Der ärgerte sich maßlos und schrieb meinem Vater einen Brief, ich sei unreif und aus dem Konfirmandenunterricht ausgeschlossen.
SZ: Oh! Was hat ihr Vater gemacht?
Wickert: Den Brief vor meinen Augen zerrissen. Ich habe gemerkt: Der Pfarrer kann sich ruhig aufregen, das ist nicht weiter schlimm. Und das gibt einem Kind eine große Stärke.
Reden wir über Geld: Ulrich Wickert „Ich musste die Namen der Zechpreller sortieren“
Interview: A. Fichter u. H. Wilhelm