Ulrich Wickert

Artikel von mir

„Mehr Youtube würde der ARD gut tun“

29.12.2013, Die Welt


Der eine hatte ein Millionenpublikum im Fernsehen, der andere hat 1,3 Millionen Follower: Was sich die TV-Legende Ulrich Wickert und LeFloid, der Nachrichten-Quotenkönig von Youtube, zu sagen haben.

Zwei Generationen und zwei Moderatoren aus zwei ganz verschiedenen Medienepochen. Wir sind mit LeFloid, 26, und Ulrich Wickert, 71, und zum Frühstück im Café Einstein Unter den Linden verabredet. Der ehemalige Moderator der „Tagesthemen“ (im Jackett) verkehrt hier regelmäßig, der Youtube-Star, der zweimal wöchentlich „Le News“ sendet, betritt die Location (mit Sweater-Kapuzenjacke) zum ersten Mal in seinem Leben.

Welt am Sonntag: Wozu brauchen wir heute eigentlich noch eine „Tagesschau“ um 20 Uhr?

LeFloid: Das frage ich mich auch, zumal ich Nachrichten ganz anders erfahre. Nämlich dauerhaft. Zum Beispiel über Twitter, die „Tagesschau“-App und RSS-Feeds.

Ulrich Wickert: Interessant, dass Sie die „Tagesschau“-App nutzen.

LeFloid: Na ja, die Auswahl verstehe ich nicht immer.

Ulrich Wickert: Warum? Was stört Sie?

LeFloid: Ich interessiere mich null für Fußball und kriege jeden Tag Fußballergebnisse hochgeschickt. Da hätte ich unglaublich gern, dass ich mit ein paar Einstellungen bestimmen kann, was mich interessiert und was nicht. So eine schöne Häkchenliste.

Ulrich Wickert: Würde ich mir nie einrichten. Möglicherweise bekomme ich Nachrichten nicht, die überraschend sind. Es kann ja doch aus dem Sport eine Nachricht kommen, bei der ich sage: Die hat eine Relevanz, die ich nicht gesehen habe.

LeFloid: Wenn jemand wie dieser griechische Nationalspieler im Sommer mit dem Hitlergruß salutiert, dann interessiert mich das schon. Das kommt zum Glück aber nicht nur im Sport.

Welt am Sonntag: Woher nimmt ein Nachrichtenmensch eigentlich seine Nachrichten? Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen steht ein ganzer Apparat bereit, im Internet sind Nachrichten eine Art Grundrauschen.

LeFloid: Ich sehe mich tatsächlich eher als Kommentator und bin einfach tierisch froh über dieses große Angebot online. Und es passieren auf der Welt ja tagtäglich die absurdesten Dinge. Verrückt ist, wie unterschiedlich Nachrichten je nach Background aufgefasst werden.

Ulrich Wickert: Ich finde Ihre Kommentare – und das meine ich jetzt positiv – eigentlich konventionell. Im Ursinne des Wortes. Wenn ich Ihre Kommentare über die Schwulen und die Rechten sehe oder zur Überbelastung von Schülern, dann sind das alles Themen, die ich in der gedruckten Presse auch finde. Sie sind nur in einer anderen Art und Weise behandelt. Das Transportmittel, das Sie gefunden haben, spricht eine ganze Reihe von Leuten an, die eben nicht den Kommentar abends in den „Tagesthemen“ sehen wollen. Und das Gute an Ihren Kommentaren ist: Es sind Kommentare. Der Mann hat eine Meinung.

Welt am Sonntag: Ein Mann des alten Fernsehens hat Ihnen gerade ein Kompliment gemacht. Sollte Sie das als Youtuber nicht kränken?

LeFloid: Nur weil ich Youtube mache, heißt das nicht, dass ich Fernsehen schlecht finde. Es ist anders, von mir aus auch älter. Aber ich bin der Letzte, der sagt: Fernsehen wird aussterben. Das wird nie passieren. Auch nicht wegen Youtube. Vielleicht wird’s irgendwann ein vernünftiges Second Screening geben, sodass man, wenn im Fernsehen nichts Vernünftiges läuft, mit eine Taste zu seinen Youtube-Abos kommt. Zack, Playlist durch. Und später wieder zurück ins Fernsehen. Es kränkt mich in keiner Weise, wenn ich von jemandem wie Herrn Wickert gesagt bekomme, ich mache gute Kommentare, ohne jemals was in die Richtung gelernt zu haben.

Welt am Sonntag: Sie sind in Ihrer Szene ein Star.

LeFloid: Vor einem Jahr hätte ich den Vogel gezeigt, wenn mir jemand gesagt hätte: Du wirst mal Visitenkarten brauchen. Oder du wirst Autogrammkarten mitnehmen, wenn du ins Alexa-Shopping-Center gehst.

Welt am Sonntag: Sind gute Nachrichten auch Entertainment?

LeFloid: In meinem Fall sowieso. Bei Nachrichten im Fernsehen halte ich es für schwieriger, weil diese objektiver gestaltet sein müssen. Trotzdem schaffen es ja einige Anchors wie Sie, einen gewissen Kultstatus zu erreichen.

Ulrich Wickert: Man muss zwei Dinge unterscheiden, das Thema und das Transportmittel. Auch ich habe in meinen Zeiten als Korrespondent Dinge gemacht, die ganz bewusst humorvoll waren. In meinen Nachrufen wird es wahrscheinlich einmal heißen: Er ist zu Fuß über den Place de la Concorde gegangen.

Welt am Sonntag: Was man übrigens auch bei Youtube sehen kann.

Ulrich Wickert: Ich ging da jeden Tag zu Fuß rüber, eines Tages hatte ich mal einen Redakteur vom WDR aus Köln dabei, der sagte: „Kommen wir ja nie rüber.“ Und ich sagte: „Keine Sorge, du gehst immer an meiner Seite.“ Und als wir drüben waren, sagte er: „Das musst du drehen!“ Und ich: „Solch eine Banalität?“ Und dann hab ich’s für ihn gemacht. Und es hat die Ängste aller Zuschauer getroffen. Die dachten: Der wird jetzt überfahren. Ich musste übrigens fünfmal rübergehen, weil wir mit nur einer Kamera gedreht haben, von wechselnden Positionen.

Welt am Sonntag: Wie viel Aufwand steckt hinter einer „LeNews“-Sendung?

LeFloid: Der Dreh kann schnell gehen, muss er aber nicht. Für den Text hab ich Stichpunkte. Für die Postproduktion, mit Ton und allem, rechne ich schon fünf Stunden.

Ulrich Wickert: Und wie funktioniert das mit dem Finden des Themas? Wächst das während der Woche?

LeFloid: Sowohl als auch. Dinge, die ich gehört habe, über die ich sprechen möchte, weil mich die Meinung von anderen interessiert. Oder Dinge, von denen es einfach wichtig ist, sie mal an die Öffentlichkeit zu zerren. Es kommt auch ganz viel von den Zuschauern, zum Beispiel über Twitter. Hast du davon gehört? Hast du das gelesen? Wie denkst du darüber?

Ulrich Wickert: Ich war ja mal eine Zeit lang Herausgeber von Zoomer.de. Leider ist das Projekt an den Finanzen gescheitert. Aber da habe ich auch Videokommentare gemacht. Und bekam wertvolle Zuschauerkommentare. Schon in den Siebzigerjahren, da war ich noch bei „Monitor“, schrieb eine Zuschauerin mal sinngemäß: In Ihrer letzten Sendung gab es 76 Fremdworte: Wer soll die verstehen? Seit diesem Brief hab ich mir Gedanken gemacht und angefangen, Fremdworte zu vermeiden. Ich hab auch später in den Moderationen nie von „Holocaust“ gesprochen, sondern von „Judenvernichtung“. Was viel schlimmer klingt. Deswegen muss man das Wort benutzen.

Welt am Sonntag: Herr Wickert, Sie sind auch der Erfinder der „geruhsamen Nacht“ im deutschen Fernsehen.

Ulrich Wickert: Nach so einer Sendung „Tagesthemen“, mit harten Themen wie Hunger in Afrika und so, kann man den Leuten nicht einfach eine „gute Nacht“ wünschen. So kam ich auf die „geruhsame Nacht“. Das beinhaltet: „Findet Ruhe!“ Und das wurde dann zu meiner Formel.

LeFloid: Ich stelle mir gerade vor, wie die Leute am Fernsehen sitzen und denken: Sag die „catch-phrase“!

Welt am Sonntag: Sie haben ja auch ein paar feste Formeln. „Aloha, Freunde!“

Ulrich Wickert: Oder der Schluss! Mit Hinfallen!

LeFloid: Irgendwann muss ich damit aufhören, da werde ich zu alt dafür.

Ulrich Wickert: Schön fand ich, wie jemand schrieb: Hast du da eine Matratze? Haben Sie denn eine?

LeFloid: Nein.

Ulrich Wickert: Das heißt: Sie müssen in die Liegestütze fallen.

Welt am Sonntag: Welche Rolle spielt eigentlich Kleidung?

Ulrich Wickert: Bei „Tagesthemen“ versuchen Sie natürlich so gekleidet zu sein, dass die Kleidung von nichts ablenkt. Und Sie haben vor allem ein Problem: Sie können nicht 7 oder 14 Tage hintereinander denselben Schlips tragen. Ich habe es dann häufig so gemacht. Wenn ich jemanden gegenübersaß, der einen tollen Schlips hatte, hab ich gefragt: Kann ich mir den mal ausleihen?

LeFloid: Meistens stehe ich morgens im Halbschlaf auf, zieh mir was an und steh dann irgendwann vor der Kamera. Heute zum Beispiel (er öffnet seine Sweater-Kapuzenjacke): Ich bin ein Star-Wars-Fan und habe ein Star-Wars-Shirt an. Es ist tatsächlich nicht so, dass ich mir denke: Heute ist das ist und das Thema, passend dazu auf der Meta-Ebene wäre… In unserem Kanal für Videospiele ist das ein bisschen anders. Wenn wir da über etwas reden, hab ich auch gerne was Passendes dazu an.

Welt am Sonntag: Und welche Bedeutung haben Ihre Tattoos?

LeFloidDas ist eine Eule beispielsweise. Dieses Symbol hier, das einerseits eine Schwäche für Dreiecke, die ich einerseits aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen entwickelt habe; andererseits ist sowohl die Eule als auch dieses Symbol, welches sich Triforce nennt, aus einem Videospiel, das meine Kindheit enorm geprägt hat. Und dieser zerbrochene Flügel hier, der ebenfalls mit Dreiecken dargestellt wird, ist das Ding mit rechten Arm hier.

Ulrich Wickert: Was haben Sie gemacht? Unfall?

LeFloid: Ein Sportunfall, damals war ich 13. Offener Bruch. So ziemlich alles kaputt, was kaputtgehen konnte im Arm.

Welt am Sonntag: Würde jemand wie LeFloid auch in der ARD funktionieren?

Ulrich Wickert: Ich finde, er passt absolut gut in die ARD. Mehr Youtube würde den Öffentlich-Rechtlichen guttun. Gerade in den Dritten Programmen müsste es die Möglichkeit geben, dass Leute das ausprobieren, was er im Internet macht, weil man dann auch die Möglichkeit hätte, jüngere Zuschauer anzusprechen oder überhaupt Leute, die Themen in einer anderen Form dargeboten bekommen wollen. Er hat seine Form, und ich finde das ansprechend.

Welt am Sonntag: LeFloid, würden Sie sich vom Fernsehen überhaupt engagieren lassen?

LeFloid: Honorartechnisch vielleicht. Fest angestellt wär allerdings nicht mein Ding. Die Male, die ich in Sendungen eingeladen war, hat’s Spaß gemacht. Nur verpassen die Öffentlich-Rechtlichen es, ihre Sachen auf Youtube zu stellen.

Welt am Sonntag: Schauen Sie eigentlich noch fern?

LeFloid: Nee. Wenn mein Fernseher eingeschaltet ist, dann hängt eine Blu-Ray oder Spielkonsole dran. Ich hab dem Fernsehen echt abgeschworen. Alles, was mich interessiert, kann ich auch bei Netflix gucken. Serien kommen sowieso erst ewig spät nach Deutschland.

Ulrich Wickert: DVDs kaufe ich auch. „Mad Men“ oder „24“ oder „Curb Your Enthusiasm“. Spitze, wie man damit nicht aufhören kann. Wir haben sonntags schon mal sechs Stunden davorgesessen.

LeFloid: Das hab ich gerade mit zwei Serien durch.

Welt am Sonntag: Und warum entsteht in der Richtung hierzulande nichts?

LeFloid: In Deutschland muss noch viel passieren bei Serien und Film. Begeistert war ich aber zuletzt von „Hell“. Auch „Unsere Mütter, unsere Väter“ fand ich als Film wirklich gut.

Ulrich Wickert: Es fehlen die Drehbuchschreiber. Oder wenn Sie sich auch „Tatort“ angucken. Die Dialoge sind manchmal so schrecklich. Eine amerikanische Serie geht auf den Punkt. Da stimmen die Dialoge, die Schnitte. Beim „Tatort“ werden die Einstellungen immer länger – und langweiliger, weil immer weniger Geld gegeben wird. Ein „Tatort“ muss ja ein gewisses Tempo haben. Aber wenn ich sehe, das fängt an mit ein paar schnellen Schnitten. Ich seh ein Mädchen, das sich im Laptop inszeniert. Dann ein See, na gut, sie ist umgebracht worden. Da steht einer, brauch ich ja gar nicht mehr anzugucken.

LeFloid: Ich muss mich hier vielleicht doch outen als „Tatort“-Fan. Die neuen „Tatorte“ sind schon cool. Nicht die alten, die so klassisch schlecht geschnitten sind. Hier wieder eine Totale, Blickachse des Todes, zweite Einstellung.

Welt am Sonntag: Damit es hier nicht zu harmonisch wird: Kritisieren Sie sich mal wechselseitig: Was nervt an Youtube, was am Fernsehen?

Ulrich Wickert: Was ich an Youtube kritisiere, könnte und müsste ich genauso gut am Fernsehen kritisieren: Auch Müll im Kopf ist Umweltverschmutzung.

LeFloid: An Fernsehnachrichten stört mich, dass sie gezwungenermaßen so wenig emotional sind: Man berichtet über 650 Tote bei einem Giftgasanschlag – und (er hebt die Stimme) jetzt zum Sport. Das funktioniert nicht in meinem Kopf.

Ulrich Wickert: Da bin ich anderer Meinung. Ein Nachrichtenmoderator kann schon Emotionen zeigen. Nur ein Nachrichtensprecher darf das nicht. Deshalb müssen intelligente Menschen wie Jan Hofer und Judith Rakers vom fest vorgeschriebenen Nachrichtenskript befreit werden. Das ist eine Vorgabe aus den Fünfzigerjahren.

Welt am Sonntag: Vielleicht zum Abschluss: Wenn Sie den jeweils anderen kurz anmoderieren müssten, wie würden Sie es machen?

LeFloid: Ich würde auf keinen Fall verzichten auf „Anchorman-Legende“ oder so. Das scheint mir durchaus angebracht bei so einem Lebenslauf. Bin ja immer noch ein bisschen neidisch. Sie wurden in Tokio geboren. Ich hatte mal anderthalb Jahre Japanisch, aber da ist echt nichts hängen geblieben.

Ulrich Wickert: Bei mir aber auch nix. Hm, wie würde ich Sie anmoderieren? Wohl als einen sehr interessanten, ernsthaften Kommentator in einem neuen Medium.

LeFloid: Ich bin so froh, dass sich ‚Kommentator“ endlich durchsetzt. Immer heißt es: Er „macht“ Nachrichten. Ich mache keine Nachrichten.

Ulrich Wickert: Das ist die Ungenauigkeit der Leute im Umgang mit Worten. Sprache ist elementar. Es hat Spaß gemacht, Sie kennenzulernen!

LeFloid: Es war mir ein inneres Blumenpflücken.