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Nah dran an „Mister Tagesthemen“
15.01.2015, „Augsburger Allgemeine“
Eigentlich wollte der berühmte Journalist Ulrich Wickert in Donauwörth nur aus seinem neuen Krimi vorlesen – dann aber erklärt er auch ein bisschen die Welt.
Für viele ist er „Mister Tagesthemen“ – der Moderator, der der Nachrichtensendung 15 Jahre lang ein Gesicht gab. Und schon als der groß gewachsene Mann an seinem Lesetisch in der Buchhandlung Rupprecht Platz nimmt und seine ersten Worte spricht, fühlt sich so manch einer zurückversetzt in eine Zeit, da er den Deutschen noch allabendlich die Welt erklärt hat: „Schönen guten Abend meine Damen und Herren“, begrüßt Ulrich Wickert das Donauwörther Publikum. Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit den Tagesthemen – hallt es da wohl im Kopf so manch eines Besuchers nach.
Aber das sagt er natürlich nicht, der berühmte Journalist. Denn mit den Tagesthemen hat Wickert schon 2006 Schluss gemacht. Seither erklärt er die Welt lieber als Autor von Sachbüchern – und schreibt Kriminalromane.
„Das marokkanische Mädchen“ heißt der neueste und fünfte Fall seines Untersuchungsrichters Jacques Ricou, den Ulrich Wickert in Donauwörth vorstellte. Wie alle anderen Storys der Serie spielt das Buch in Frankreich: Unweit von Paris wird eine marokkanische Familie erschossen in ihrem Auto aufgefunden – nur die kleine Kalila überlebt, weil sie sich während des Massakers im Kofferraum versteckt hat. Doch das Kind ist schwer traumatisiert. Stecken rechte Terroristen hinter der Tat? Fanatische Islamisten? Oder das Drogenmilieu? Die Suche nach den Tätern führt Jacques Ricou in einen Sumpf von Verbrechen, Politik und Korruption …
Bevor Wickert tiefer ins Buch und die Lesung einsteigt, steht aber noch etwas anderes im Vordergrund. Der 72-Jährige gilt als Frankreich-Experte, war als Korrespondent unter anderem in Paris tätig – und wäre nicht Ulrich Wickert, wenn er sich nicht auch zu dem blutigen Attentat und den aktuellen Entwicklungen in Frankreich äußern würde.
„Diese unglaubliche Brutalität hat uns entsetzt“, sagt der Autor, der übrigens in Japan geboren wurde. Dass der Anschlag eine Vorgeschichte habe, erklärt er. Dass es Franzosen algerischer oder tunesischer Herkunft gebe, die nach Meinung vieler Soziologen nicht der Islam radikalisiere, sondern die Tatsache, dass sie sich in der französischen Gesellschaft nicht aufgenommen fühlten. Dass die Morde das Land gleichwohl verändert hätten: „Wir stehen hier am Anfang von Entwicklungen, von denen wir noch nicht wissen, in welche Richtung sie gehen werden“, sagt Wickert zu den rund 140 Besuchern der Lesung. In einer Sache aber sei er sich ganz sicher: Dass der nächste Präsident in Frankreich trotz allem kein Rechtsradikaler sein werde.
Wickert, wie er die Welt analysiert. Das ist er, der Moderator, so wie man ihn kennt. Und der nun seine Krimis schreibt. „Warum ich das mache?“, wechselt er das Thema. „Weil es mir Spaß macht.“ Kleines Lächeln, genug gesagt. Dann aber holt Wickert doch ein bisschen weiter aus und erzählt, wie er als Student in den USA in den 1960er-Jahren die klassischen Krimiautoren entdeckte und schätzen lernte. Wie von Jahr zu Jahr der Wunsch in ihm reifte, auch selbst mal eine Kriminalgeschichte zu schreiben: „Das wollte ich immer schon machen, das war für mich ein Kindheitstraum“, verrät in Donauwörth.
Und wie schließlich die Figur des Jacques Ricou entstand – auch das gibt er lakonisch und mit trockenem Humor wieder: vom ersten Plot über dessen Ausarbeitung und Verortung bis hin zur Psychologie der Figuren. Dass der Richter Ricou wie auch er selbst den Abend gerne mit einem Whisky beschließe, sei keine Gemeinsamkeit im eigentlich Sinne. Denn zumindest bei ihm – Wickert – habe das medizinische Gründe, erklärt er und erntet viel Lachen.
Wickert, der Moderator. Er ist auch ein großer Erzähler, der seine Zuhörer geschickt um den Finger wickelt. Das stellt er an diesem Abend in Donauwörth unter Beweis. Maria Rupprecht hat ihn mehrfach schon auf Lesungen erlebt. Und jedes Mal erstaune es sie wieder, sagt die Chefin der Buchhandelskette, wie viel Sympathie ihm das Publikum entgegenbringe. Da gebe es keine Distanz oder Berührungsängste: „Das liegt wohl daran, dass die Menschen ihn jahrelang abends in ihrem Wohnzimmer hatten“, glaubt sie. Denn er ist und bleibt Ulrich Wickert, Mister Tagesthemen.
Von Ulrike Eicher