Ulrich Wickert

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Über die Heimat im Vogelsberg gesprochen

25.10.2019, Lauterbacher Anzeiger

Tagesthemen Ulrich Wickert ist einer der bekanntesten Journalisten Deutschlands. Im Rahmen der Lesereihe „Der Vulkan lässt lesen“ reiste der Publizist nun mit seinem neuen Buch von Hamburg nach Alsfeld und machte das bröckelnde Gemeinschaftsempfinden in Deutschland zum Tagesthema.

VOGELSBERGKREIS – Mr. Tagesthemen Ulrich Wickert ist einer der bekanntesten Journalisten Deutschlands – geboren in Tokio, aufgewachsen in Heidelberg und Paris, sein Studium führte ihn in Zeiten J.F. Kennedys nach Amerika. Als ARD-Auslandskorrespondent berichtete der Fernsehmann aus Washington, New York und Paris. Zudem moderierte er etwa 15 Jahre lang die Tagesthemen mit dem abschließenden Wunsch einer „geruhsamen Nacht“ an seine Zuschauer. Im Rahmen der Lesereihe „Der Vulkan lässt lesen“ reiste der Publizist nun mit seinem neuen Buch von Hamburg nach Alsfeld und machte das bröckelnde Gemeinschaftsempfinden in Deutschland zum Tagesthema: „Identifiziert euch! Warum wir ein neues Heimatgefühl brauchen“, erklärte Wickert rund 230 Literaturgängern die Welt.

„Überraschung“, staunte das „Lesenswert“-Buchhandlungsteam um Johanna Mildner und Barbara Möser über den Andrang am Abend. Denn kurzum waren ihre Spontanität und Flexibilität gefordert. „Ausverkauft – das hat man als Veranstalter doch sehr gerne“, eröffnete Andreas Matlé, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Ovag, im Namen seines Arbeitgebers und des dritten Mitveranstalters Sparkasse Oberhessen im Autohaus Deisenroth die Begegnung mit dem weltgewandten Berichterstatter.

In seinem aktuellen Buch beschäftigte sich Wickert mit den Dingen, die eine Nation ausmachen und zusammenhalten: die Sprache, Kultur, Werte, Tugenden, Identifikation, Heimatgefühle und eine authentische, nationale Identität. Allesamt Elemente, die heutzutage zunehmend abhandengekommen scheinen in der Bevölkerung von Deutschland, so die Empfindung des Autors Jahrgang 1942, der heute in Hamburg und Paris zuhause ist.

Ruhig bedacht, flanierte Wickert im Plauderton durch seine Themen und Begriffe. Zitierte dabei Dichter, Denker und Philosophen und sprach die schwierige Vergangenheit Deutschlands ebenso offen an, wie die Aufforderung, die grausame Geschichte des Zweiten Weltkriegs nicht zu leugnen, sondern gerade wegen ihr den Schritt nach vorne zu setzen für ein friedliches Miteinander in einem modernen Land mit Demokratie, vielen Freiheiten und einer humanen Gesellschaft. Er hinterließ unweigerlich den Eindruck, seine deutschen Landsleute förmlich wachrütteln zu wollen zu einem Bekenntnis ihrer nationalen Identität, wie es ihm die Franzosen freimütig vorleben. Die Franzosen nämlich seien stolz auf ihr Land. Diese Identifikation wiederum mache viel aus – die gesteigerte Form sei schließlich das eigene Empfinden als Heimat, hob Wickert deutlich hervor. Aber die nationale Identität sei nichts Absolutes und müsse sich keineswegs über das Blut und die Abstammung definieren, um andere Menschen auszugrenzen, stellte Wickert das nationale Auftrumpfen von Rechtspopulisten und Identitären nachdrücklich in Frage und belegte den Gedanken mit einem banalen Beispiel: „Es gibt die Identität der Ostfriesen und die unterscheidet sich unverkennbar von der eines Bayern. Wenn aber beide in Paris in einem Bistro sitzen, werden sie von ihrer Umgebung nicht als Ostfriese und Bayer wahrgenommen, sondern als Deutsche.“ Als zweiten Begriff rückte Wickert „Heimat“ in den Vordergrund. Schließlich sei jene für ihn gleichbedeutend mit Zusammenhalt und an eben diesem mangele es in weiten Teilen des Landes. „Identifiziert euch“, war demnach als bürgerschaftlicher Aufruf zu sehen für ein Land, in dem nicht der individuelle Narzissmus die Oberhand bekommen solle, sondern Menschenrechte geachtet und gesellschaftliche Solidarität gelebt und praktiziert werden. In diesem Sinne hielt es Wickert für einen großen Fehler, dass in Deutschland die allgemeine Wehrpflicht von der Politik einfach ausgesetzt wurde – ohne groß die Bevölkerung zu fragen. Und auch, dass es in Deutschland keinen sozialen Pflichtdienst nach dem Schulabschluss gebe, der den jungen Leuten nach Verlassen der Schule die Möglichkeit biete, durch Arbeit in Kindergärten, Krankenhäusern oder Pflegeheimen Anteil zu leisten an der Gemeinschaft. Dem konnten die Zuhörer nur beipflichten.

Von lb