Ulrich Wickert

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Ulrich Wickert spricht über Macron und sein Einfluss auf Frankreich

22.01.2017, Badische Zeitung

Ulrich Wickert hat im Zuge seiner Journalisten-Karriere lange in Frankreich gelebt und liebt das Land. Im Interview spricht er über Macrons Revolution und das ambivalente Verhältnis der Franzosen zu Monarchen. 

Ulrich Wickerts neues Buch „Frankreich muss man lieben, um es zu verstehen“ ist eine Liebeserklärung an das Land, in dem er lange gelebt hat. Diese Liebe macht ihn aber nicht blind. Was als Klischee anmutet, wird sorgfältig auseinandergenommen, historisch beleuchtet und mit vielen Anekdoten aus den Kulissen der Macht gespickt. Eine heiter aufklärende Lektüre über ein eigentümliches Volk. Für Deutsche und für Franzosen.

Der Sonntag: Herr Wickert, Ihr Buch beweist Ihre profunde Kenntnis von Frankreich. Mich aber machen meine Landsleute hin und wieder ratlos. Verstehen Sie Frankreich?

Ulrich Wickert: Ich liebe Frankreich und deswegen akzeptiere ich manchmal Dinge, von denen ich sage, sie widersprechen eigentlich dem, was ich für richtig halte. Aber ich bin der Meinung, dass jeder aus seiner Geschichte heraus Verhaltensweisen übernommen hat, die man nicht verändern kann.

Der Sonntag: Die Franzosen sind schon eigen.

Ulrich Wickert: Sie sind einfach anders. Ich habe das Glück gehabt, lange Zeit in Frankreich zu leben, auch in Amerika und in anderen Ländern. Da habe ich gelernt zu akzeptieren: Wenn etwas anders ist, hat das seine Gründe und ist dadurch nicht falsch. Zwischen Deutschen und Franzosen gibt es aufgrund der nationalen Identität, die von Kultur und Geschichte geprägt wird, unterschiedliche Verhaltensweisen. Die kann man nur verstehen, wenn man sich mit Themen wie der Identität befasst.

Der Sonntag: Und die Liebe?

Ulrich Wickert: Ein Teil des Buches heißt „Liebe à la française“. Wenn man das liest, versteht man, warum Catherine Deneuve sagte: „Regt euch nicht so sehr auf, ein bisschen Anmache gehört zum Leben.“ Weil es eben zum französischen Leben gehört, mit der Liebe anders umzugehen als die protestantischen Deutschen.

Der Sonntag: Wie sieht es aber mit der Kehrseite aus? Sie zitieren ja Dominique de Villepin: „Ein französischer Politiker ist jemand, der eine Frau in der Provinz hat und eine Maîtresse in Paris.“

Ulrich Wickert: Das entspricht doch nur der Wahrheit. Aber es gibt auch ganz kritische Dinge, wie die „bizutage“ (Anmerkung der Redaktion: alte, oft sexualisierte Initiationsriten an Hochschulen, seit einigen Jahren wegen Gewalt und Missbrauchsfällen angeprangert). Jedoch verteidigt sie ein bekannter Professor als Beweis dafür, dass Sex erstmal der Allgemeinheit gehört und erst an zweiter Stelle privat ist. Man erwartet von so jemandem etwas ganz anderes.

Der Sonntag: Das Gackern und Auspfeifen im Parlament, wenn eine Frau das Wort ergreift oder ein Blumenkleid trägt, sind sehr schwer zu ertragen.

Ulrich Wickert: Ja, ich zitiere auch Bernard Henri-Lévy, der sagt, Frankreich sei eben ein Macho-Land. Aber es verändert sich durch den neuen Präsidenten und dessen sehr junge Art, mit Traditionen umzugehen. Er hat erstmal dafür gesorgt, dass die Hälfte der Kandidaten Kandidatinnen wurden. Das hat den Anteil der Frauen im Parlament drastisch erhöht. Hier ist jemand, der verändert und modernisiert.

Der Sonntag: Was ist mit der Selbstbedienungstradition der oberen Kaste, die Sie eingehend beschreiben?

Ulrich Wickert: Ich meine ein wenig ironisch, die Franzosen haben die Revolution gemacht, nicht um Privilegien abzuschaffen, sondern um sie neu zu verteilen. Wir sehen, dass Macron, der nicht aus dieser politischen Kaste stammt und dadurch auch nicht verdorben war, mit seinem ersten Gesetz, nämlich zur Moralisierung des öffentlichen Lebens, Grundsätzliches verändert hat. Das hat dazu geführt, dass vier seiner Minister aus dem ersten Kabinett entfernt wurden. Weil sie belastet waren.

Der Sonntag: „Ein Gesetz allein macht nicht den Frühling. Die Einstellungen müssen sich ändern“, sagt die Justizministerin.

Ulrich Wickert: Das ist richtig. Aber es dauert eine Weile, bis Einstellungen sich ändern. Doch jetzt weiß man: Wenn ich mich als Politiker nicht danach richte, bin ich mein politisches Amt ganz schnell los. Das ist neu.

Der Sonntag: Die Franzosen sind ja den Selbstbedienungsladen leid.

Ulrich Wickert: Das hat sicherlich zu dem Ergebnis der Präsidentschaftswahl geführt, denn eigentlich war der konservative Fillon Favorit. Aber er verlor, weil er seiner Frau über Jahre hinweg bis zu 900.000 Euro Staatsgelder überweisen ließ, für Nichtstun. Das hat den Leuten doch gereicht.

Der Sonntag: Sie schreiben, Frankreich stecke in einer Identitätskrise. Verharren die Franzosen auf vergangenem Ruhm?

Ulrich Wickert: Natürlich. Es wird immer wieder auf geschichtliche Ereignisse Bezug genommen. Was ja gar nicht schlecht ist. Das Problem der Identität ist, dass Frankreich einmal die beherrschende Nation Europas war. Dann verlor die Sprache ihre Wichtigkeit, später kamen noch der Zweite Weltkrieg, die Besetzung des Landes ohne Kampf, der Verlust der Kolonien hinzu. Daher die Angst vor dem Verlust an Bedeutung.

Der Sonntag: Ist aber dieses Festhalten nicht eine Bremse für eine Vorwärtsbewegung?

Ulrich Wickert: Das ist natürlich eine Bremse. Doch wir Deutschen haben das Problem, dass wir aufgrund des Dritten Reiches einen Schnitt mit der Geschichte gemacht haben. Die Identität fängt für uns erst in den 50er Jahren an. Das ist auch nicht gesund für ein Volk. Ich habe mal mit Mitterrand über die deutschen Probleme mit der Identität gesprochen. Er sagte mir: „Wissen Sie, jedes Land hat gute und schlechte Seiten in seiner Geschichte. Damit muss ein Land leben.“

Der Sonntag: Es muss sich aber auch damit auseinandersetzen. Frankreich hat dafür lange gebraucht.

Ulrich Wickert: Frankreich hat sehr lange gebraucht. Chirac ist der Erste, der ein bisschen etwas getan hat. Aber die Aussage von Macron über Kolonialismus als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist absolut neu, das verändert das Denken. Die Veränderung beginnt auch deswegen, weil Frankreich durch den jungen Präsidenten jung zu werden scheint. Daher finde ich seinen Begriff der Revolution völlig richtig.

Der Sonntag: Zur Fremdenfeindlichkeit. Ich war nicht stolz auf mein Land, als es 2015 bei der Öffnung der Grenzen durch Angela Merkel nicht half. Macron hat sie während des Wahlkampfes dafür gelobt, doch jetzt scheint das geplante Gesetz zur Migration sehr hart. Was ist los im Land der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte?

Ulrich Wickert: Und im Land des Asyls. Das ist die Angst der Regierenden, dass die Wähler Front National wählen, wenn die Regierung eine Politik wie Frau Merkel macht. Ihre Politik hat dazu geführt, dass es hier eine rechte Bewegung mit über zehn Prozent im Bundestag gibt. Der Rassismus und der Antisemitismus sind in Frankreich ein großes Problem. Das Spannende ist jedoch, dass Frankreich von 1850 bis 1950 geburtenschwach war. Ende des 19. Jahrhunderts gab es dort bereits mehrere Millionen ausländische Arbeiter. Das hat schon damals zu fremdenfeindlichen Demonstrationen geführt.

Der Sonntag: Während des Wahlkampfes wurde Deutschland von rechts- und linksextremistischen Parteien sehr kritisiert.

Ulrich Wickert: Und von Fillon.

Der Sonntag: Macron will aber Europa neu denken, mit Deutschland und Frankreich als Antriebskraft. Kann das klappen?

Ulrich Wickert: Wir müssen erstmal eine ordentliche Regierung in Berlin haben. Leider bremst die Lage in Deutschland den französischen Elan. Das ist bedauerlich. Ich finde fantastisch, dass Macron in seinem Buch „Revolution“ sich zu Deutschland und zu Europa bekennt, während 60 Prozent der Wähler Kandidaten gewählt haben, die dagegen waren. Ich glaube aber auch, dass er die Stimmung in Frankreich gedreht hat. Jetzt ist eine Mehrheit für Europa. Es war sehr mutig von ihm, und seine Reden sowohl in Athen als auch an der Sorbonne waren sehr kluge Reden. Wobei man wissen muss, dass diese mit Angela Merkel abgestimmt waren. Das zeigt, wie sehr er darauf achtet, Deutschland miteinzubeziehen.

Der Sonntag: Sein Auftritt am Wahlabend im Mai war auch ein Bekenntnis.

Ulrich Wickert: Er wusste genau, was wichtig ist: Ich muss wie ein Monarch einsam daherkommen. Der Louvre, die Cour Napoleon und die Pyramide von François Mitterrand, da war plötzlich die gesamte französische Geschichte. Und dann die Europahymne, das war ein genialer Auftritt.

Der Sonntag: Ihr Satz passt hier hervorragend: „Sie haben den König zwar geköpft, dennoch vermissen sie ihn.“

Ulrich Wickert: (Lacht) Ich erzähle gern diese Anekdote: Fragt man einen Bauern zu Zeiten der Revolution, bist du für die Republik? Antwortet er: Ja natürlich bin ich für die Republik, Hauptsache Napoleon ist König. Da sagte Mitterrand, als ich ihm dies erzählte: „So sind sie, die Franzosen! Selbst mir wirft man vor, ich sei ein König.“

Der Sonntag: Eine letzte Frage: Gibt es etwas, das Sie in Frankreich vermissen?

Ulrich Wickert: Ach, wissen Sie, ich bin da so entspannt. Frankreich ist Frankreich. Da lebe ich wie ein Franzose.

Der Sonntag: Und was lieben Sie besonders?

Ulrich Wickert: Was ich bei den Franzosen besonders liebe, ist „la discrétion“. Das ist etwas, was im menschlichen Umgang sehr angenehm ist.

Florence Baader