Ulrich Wickert

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Korrespondent der Versöhnung

Beim Lesefestival HomBuch25 wird Ulrich Wickert mit dem Deutsch- Französischen Freundschaftspreis ausgezeichnet. In seinem Buch „Salut les amis“ blickt der Journalist zurück auf Jahrzehnte politischer Beobachtung, persönlicher Begegnungen und historischer Momente, die das Verhältnis zwischen beiden Ländern geprägt haben.

Bunkeranlagen in den Dünen, verrostetes Kriegsgerät an den Stränden, hie und da versunkene Landungsboote. Als der 13-jährige Ulrich Wickert 1956 mit seiner Familie Urlaub an der normannischen Küste machte, waren die Spuren der Landung der Alliierten – des D-Days – noch allgegenwärtig. Mit diesen Erinnerungen, zwölf Jahre nach diesem geschichtsträchtigen Ereignis, beginnt Wickert sein Buch „Sa- lut les amis“. Zehn Jahre lang besuchte er eine Schule in Paris, wo sein Vater als Diplomat bei der deutschen Vertretung der Nato tätig war.

In den 1960er Jahren erlebte Ulrich Wickert die Folgen der Kuba-Krise: Als die Stationierung sowjetischer Atom- raketen auf der Karibikinsel die Welt an den Rand eines Atomkriegs brachte und sich daraufhin die USA und Groß- britannien annäherten, wandte sich der französische Präsident Charles de Gaulle Deutschland zu. „So kam es nach einigen diplomatischen Wendungen und trotz innerdeutschen Widerstands 1963 zum Élysée-Vertrag, mit dem die Zeiten der ‚Erbfeindschaft‘ für immer beendet werden sollten – und auch wurden.“

Glück und Zufall, erzählt Wickert, haben ihn nach seinem Studium an der Universität Bonn zunächst zur Sendung „Monitor“ beim WDR und 1969 – aufgrund seiner Sprachkenntnisse – zur Berichterstattung über die Wahl von de Gaulles Nachfolger als Repor- ter nach Paris geführt. Auch über die folgenden Wechsel an den Staatsspit- zen berichtete Wickert – über 40 Jah- re lang: „Und seitdem habe ich immer wieder erlebt, wie wichtig persönliches Vertrauen zwischen Politikern aus Paris und Bonn, später Berlin, ist. Wie es die Zeitläufte beeinflussen oder – wenn es fehlt – das europäische Projekt hemmen kann.“ So habe etwa die Chemie zwischen Georges Pompidou und Willy Brandt nicht gestimmt, weil sich die Bundesrepublik zu jener Zeit zum be- vorzugten Gesprächspartner der Sowje- tunion entwickelt hatte.

Der Journalist erlebte auch die poli- tische Freundschaft zwischen Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing, der die Tradition begründete, dass der erste Auslandsbesuch deutscher und französischer Staatsoberhäupter stets in das jeweilige Partnerland führt.

„Salut les amis“ gewährt vielfältige Einblicke. Zehn Jahre lang war Wickert Frankreich-Korrespondent der ARD. Er traf nicht nur Präsidenten, Botschafter und hochrangige Vertreter, sondern sorg- te auch dafür, dass Bier aus seiner Heimat in der Residenz des deutschen Botschaf- ters in Paris serviert wurde. Bei einem Empfang in den 1980er-Jahren habe der französische Staatspräsident Jacques Chirac höflich an einem frisch gezapften Bier genippt, während Premierminister François Mitterrand „das volle Glas mit sichtlichem Vergnügen leerte“.

Noch mehr beeindruckte Wickert ein Satz Helmut Schmidts – ein Satz, „den man sich von jedem aktiven Bundeskanzler wünscht“: Bei allen außenpolitischen Entscheidungen, die er zu treffen gehabt habe, habe er stets zuerst daran gedacht, was dies für die Beziehung zu Frankreich bedeute. Er habe die Ge- schichte nicht vergessen und wisse, dass die Zukunft Europas ausschließlich in beider Hände liege.

„Salut les amis“ handelt auch von Vergangenheitsbewältigung und Ver- söhnung – vom Interview mit Bea- te Klarsfeld, die Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger öffentlich eine Ohr- feige gab und ihn lautstark als Nazi beschimpfte, und vom Moment, als Helmut Kohl und François Mitterrand Hand in Hand der Gefallenen des Ers- ten Weltkriegs gedachten. Es sind viele Namen, Orte, Medien und Erinne- rungen, die Wickert im Laufe der Zeit gesammelt hat. Er war nah dran – das wird in jedem Kapitel deutlich.

„Das Anderssein des Partners anzu- nehmen, ist die Voraussetzung, wenn Deutschland und Frankreich gemeinsam in Europa vorangehen wollen“, schreibt der Autor – und benennt dabei auch die Unterschiede. Zum Beispiel die Wirt- schaftsformen: Frankreich, „ein zent- ralistisch regiertes Land mit Hang zum Protektionismus“, stehe Deutschland, „einer föderal organisierten sozialen Marktwirtschaft mit vielen ökonomi- schen Freiheiten“, gegenüber. Ebenso unterscheiden sich seiner Beobachtung nach das Verhältnis zu Armee und Rüs- tungsindustrie, ebenso die Regierungsformen – „der französische Präsident agiert, der deutsche Bundeskanzler reagiert“ – sowie die Rolle des Parlaments, der Koalitionen und Fraktionen. Nicht zuletzt gebe es Differenzen beim Ver ständnis der nationalen Identität: Der Führungsanspruch Frankreichs in Europa und das deutsche Engagement für die europäische Einheit hätten zuletzt auch die Beziehung zwischen Emmanuel Macron und Olaf Scholz belastet.

Ulrich Wickert zeigt sich beeindruckt von dem Weg, den Deutschland und Frankreich in den vergangenen Jahr- zehnten gegangen sind – von der „Erbfeindschaft“ zum dauerhaften Frieden. Er beendet sein Buch mit einem Appell: „In beiden Ländern muss viel mehr für die Zukunft Europas investiert wer- den. Das fängt beim Engagement für

die deutsch-französische Verständigung an.“ Die Sprache des anderen zu lernen, die Kultur des Nachbarn zu unterrichten, die Bedeutung von Gemeinsamkeit für Europa zu vermitteln – davon wünsche er sich viel mehr.

„Salut les amis“ erklärt nicht nur, weshalb Ulrich Wickert zum Offizier der französischen Ehrenlegion ernannt wurde – eine Auszeichnung für besondere Verdienste um Frankreich –, sondern auch, warum ihm im Rahmen der HomBuch25 der Deutsch-Französische Freundschaftspreis verliehen wird. Diese Auszeichnung soll ein sichtbares Zeichen für Zusammenarbeit und kulturellen Austausch setzen – „wich- tiger denn je, gerade in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung, zunehmen der Euroskepsis und globaler Krisen“, betont Hans-Joachim Burgardt, Leiter des Lesefestivals. Für ihn sind Kunst und Literatur Brückenbauer zwischen Menschen und Kulturen: „Angesichts aktueller Herausforderungen bleibt es enorm wichtig, dass Schriftsteller, Künstler und Musiker das Gespräch und den Kontakt über Grenzen hinweg fortführen und neue gemeinsame Erzählungen schaffen.“ So wie Ulrich Wickert, bei dem sich die Jury „einig wie selten“ gewesen und schnell zu einem einstimmigen Votum gekommen sei. Burgardt: „Ulrich Wickert verkörpert wie kaum ein anderer die enge Verbundenheit zwischen Deutschland und Frankreich. Seine journalistische Integrität, seine Fähigkeit, komplexe gesellschaftliche Entwicklungen verständlich zu machen, und sein Engagement für die europäische Idee machen ihn zum idealen Preisträger.“

Ausgabe 2025 35

FORUM | 22. August 2025