Ulrich Wickert

Artikel über mich

Ulrich Wickert und der Potentat des Grauens

04.11.2015, Die Welt

Vielleicht sollten wir kurz innehalten und über den Rand des in allen Schattierungen von braun zu brodeln beginnenden Kessels namens Deutschland schauen. Und zwar – was gerade nicht üblich ist – gen Westen. Nach Frankreich.

In Frankreich ist ja bekanntermaßen irgendwie immer alles viel schöner, viel größer. Die Städte. Das Essen. Die Skandale. Die Korruption. Die Politik. Gegen Marine Le Pen – die wahrscheinlich genauso bösartig und gefährlich ist wie er – wirkt Björn Höcke jedenfalls wie ein Rechtsradikalendarsteller aus der Asservatenkammer. Sie sieht sogar besser aus. Obwohl… Aber wir schweifen ab.

Das Glück, Franzose zu sein, jedenfalls ist auch da noch ein großes, wo der geistig-moralisch-politische Morast besonders tief ist. Und niemand wird so wenig müde, davon – also von dem großen und grandiosen Elend der politischen Klasse, dem Morast, der Gesellschaft an sich und von der Grandezza der Lebenskultur – zu erzählen wie Ulrich Wickert. Das perfekte Seismometer, das der ehemalige „Und nun: das Wetter“-Sager aus den „Tagesthemen“ seit gut einem Dutzend Jahren ins Innere unseres edelverschimmelten Nachbarlandes schickt, hört auf den Namen Jacques Ricou. Ein jung bleibender Mittvierziger, dessen Leben aus den vier Dingen besteht, die einen moralisch aufrechten französischen Mann ausmachen: Charme, Genuss, schöne Frauen, hartnäckige Aufklärungswilligkeit. Jacques Ricou, der aufreizend integre Aufklärer, sitzt an einer Schaltstelle der Macht. Er ist Untersuchungsrichter und besetzt damit eine, für das deutsche Rechtssystem jedenfalls, sehr selt- und bedeutsame Position.

In seinem sechsten und neuen Fall zum Beispiel lässt er die Klage einer Nichtregierungsorganisation gegen den Präsidenten der Republik Äquatorialguinea zu, der im wahren Leben Teodoro Obijan heißt. Der soll dafür verantwortlich sein, dass der Subsahara-Staat aufgrund seiner Erdölvorkommen zwar im Pro-Kopf-Verdienst europäisches Niveau erreicht hat, dessen Armutsrate allerdings trotzdem schwindelnde Ausmaße hat.

Das wollen die Afrikaner natürlich nicht, dass der Kopf ihrer Kleptokratie vor Gericht kommt. Das wollen auch die Franzosen nicht, deren abhängiges Verhältnis zu den ehemaligen Kolonien eines der zentralen Themen Wickerts in seinen Romanen ist. Und weil selbst die Verbrecherkreise an der Seine keine Aufklärung wollen, bekommt es Ricou mit der schärfsten Attacke auf seine Karriere zu tun, die er bislang zu bewältigen hatte. Es kommt viel vor auf relativ engem Raum: Ein irrer Psychologe, der in einem Schloss Menschenversuche mit LSD macht. Ein paar sinistre Diplomaten von der Subsahara. Menschenhandel. Medienkritik. Prostitution. Dominique Strauss-Kahn.

Alles stürzt schnörkellos, fein dramatisiert und elegant dem Showdown entgegen. Revolutioniert nicht das Genre, hilft einem aber über einige neblige Nächte in den Morgen. Und am Ende – wenn man Rotwein (Petrus!) getrunken hat und überraschend viel Whisky, der ja (lernt man bei Wickert) auch gut ist gegen Zahnfleischbluten und einen schweren Kopf am Tag danach – sitzt man in einem feinen Pariser Restaurant und François Hollande, der weltberühmteste Vespa-Fahrer der Welt seit Gregory Peck, kommt vorbei und klopft Jacques Ricou auf die Schulter. Der Präsident! In einem Feinschmecker-Restaurant! Kann einem in Berlin nicht passieren.

Elmar Krekeler