Ulrich Wickert

Artikel von mir

„Ich liebe Deutschland brennend, glühend“

07.04.2013, Die Welt

Feridun Zaimoglu ist der beliebteste deutsche Dichter mit Migrationshintergrund, Ulrich Wickert sein prominentester Fan. Ein Gespräch über die Liebe: zu Frauen, zu Deutschland, zum Islam.

Ulrich Wickert: Von Billy Wilder wird berichtet, er habe auf seinem Nachttisch immer einen Block zur Hand gehabt, damit er auch nachts, wenn er mit einer genialen Filmidee aufwachte, diese sofort notieren konnte. Eines Nachts krakelte er im Halbschlaf etwas auf. Am nächsten Morgen liest er seine geniale Idee. Und was stand da? Nichts anderes als: „Boy meets girl.“ Sie haben eine Novelle über die Liebe, das Malen und das Schreiben geschrieben, worum geht es noch?

Feridun Zaimoglu: In diesem Buch haben wir mit einem recht verwirrten Maler zu tun, dessen Freundin ihm bedeutet, er möge doch seine Siebensachen packen. Er geht. Er ist von harten Winden umweht. Er wohnt in einem Viertel, in dem die Kulissen verblassen. Und ihm scheint, als würden darüber, dass seine Freundin ihn verlassen hat, auch seine Konturen verblassen. Und damit geht die Geschichte erst richtig los.

Wickert: „Der Mietmaler“ ist ein besonderes Buch. Darin befinden sich 18 Bilder, die Sie selbst gemalt haben. Es sind fast nur Frauenporträts. Es ist nur ein Mann dabei.

Zaimoglu: Bei diesem Mann handelt es sich um den besten Freund des Ich-Erzählers, des Mietmalers, der – weil die Liebe aus ist – von diesem Mietmaler immer wieder kontaktiert wird. Wie in anderen Büchern auch nähere ich mich dem Protagonisten an. Hier habe ich mich gefragt: Wie würde solch ein Maler malen? Bei diesen Frauenporträts handelt es sich zwar um Frauenporträts von mir, aber in Nachahmung der Kunst des Malers. Ich male sonst ganz andere Frauen. Frauen interessieren mich. Also male ich sie.

Wickert: Wie sind Sie zum Malen gekommen? Sie haben es ein bisschen studiert.

Zaimoglu: Und bin zweimal von der Akademie geflogen. Aber ich kann keine Heldengeschichte vom unverstandenen Künstler erzählen. Es lag daran, dass ich als Fliegengewicht geglaubt habe, die Kunst neu erfinden zu müssen. Ich entsprach dem Wunsch meiner Eltern und studierte Medizin, aber eigentlich wollte ich immer malen. Es war nie mein Wunsch, Schriftsteller zu werden. Ich habe auch immer wieder nebenbei zur Entgiftung gemalt. Viele Termine auf der Buchmesse, man kommt nach Hause und möchte entspannen. Man entkorkt die Weinflasche, und ich male dann eben. Vor drei Jahren, nachdem ich eine Beziehung gegen die Wand fuhr, explodierte das mit der Malerei noch mehr.

Wickert: Der Mietmaler wird gemietet. Er bekommt einen Auftrag, eine Dame zu porträtieren, was gang und gäbe ist.

Zaimoglu: Er nimmt diesen Auftrag an. Er fährt in eine Stadt, die man in zwei Stunden erreichen kann. Und von Anfang an ist das Verhältnis zwischen dem Maler und der Auftraggeberin eines der Unverträglichkeit. Denn diese Frau sagt ihm: Sie können mir gestohlen bleiben mit dieser modernen Qualkunst. Ich will, dass Sie mich einfach so porträtieren, dass ich mich darin wiedererkenne.

Wickert: Da ist sie auch sehr anspruchsvoll.

Zaimoglu: Ja. Er muss es immer wieder versuchen. Zum besseren Verständnis der Bestürzung der Dame habe ich diese seltsamen, zuweilen gnomenhaften Bilder beigefügt. Wir verstehen den Ich-Erzähler jetzt besser. Er erklärt uns am Anfang seine Welt, seinen Zorn. Aber wir erkennen über den Blick der Porträtierten, dass er eigentlich alles verzeichnet, nicht nur die Frauen, die er aufs Papier bannt, sondern auch sein Blick auf die Welt ist von Wahrnehmungsverzerrung begleitet.

Wickert: Liebe muss ja nicht nur einer Person gelten. Lieben Sie Ihre deutsche Heimat?

Zaimoglu: Brennend, glühend, ja. Ich habe vor ein paar Tagen einem guten Kumpel gesagt: Wenn die Leute da draußen wüssten, wie sehr ich diese, meine deutsche Heimat liebe, würde man mich mit Blaulicht abholen. Aber es ist so. Ich schwärme für dieses, mein Land. Sie müssen sich vorstellen, ich bin jetzt 48. Seit 44 Jahren lebe ich in Deutschland. Wenn ich im Ausland bin, besteht seltsamerweise für die Leute, die mich einladen, überhaupt kein Zweifel, dass ich deutsch bin. Dann frage ich, woran sie das sehen. Und sie sagen, es sei eine bestimmte Art, auf die Welt zu gucken, sich auszudrücken, zu schreiben. Und wenn diese Leute mir das sagen, grinse ich von einem Ohr zum anderen, gut gelaunt.

Wickert: Warum lieben Sie Ihre Heimat?

Zaimoglu: Das hat viel mit der Kindheit zu tun. Auch mit Gerüchen. Aber wenn ich sage, ich liebe meine Heimat Deutschland, dann meine ich natürlich auch die Deutschen. Was musste ich mir anhören? Man hätte in Deutschland keinen Humor. Dann sage ich: Eher muss ich meine deutschstämmigen deutschen Freunde zur Ordnung rufen, weil sie so gern Unfug treiben! Es gibt so viele Vorurteile, die die Deutschen über sich selber haben! Aber meine Heimatliebe hat mit viel Erfahrung zu tun. Ich habe ja nicht umsonst so viele Jahre in so vielen deutschen Städten gelebt. Wer wissen will, was für ein großartiges Land Deutschland ist, der möge – ich habe an die 1.600 Lesungen in den letzten 17, 18 Jahren gemacht – die Kleinstädte bereisen. Dann sieht er das schöne, wahre Gesicht dieses Landes.

Wickert: Sie sind als ganz junger Mensch gekommen und haben lange Zeit kein Deutsch gekonnt, weil Sie immer zu Hause waren, nicht im Kindergarten.

Zaimoglu: Das stimmt.

Wickert: Und dann?

Zaimoglu: Na, und dann schrieb ich in der Schule ein Diktat und machte 48 Fehler. Und Frau Hübel, meine damalige Grundschullehrerin, sagte: Wenn du nicht Deutsch lernst, fliegst du raus. Nachmittags hat sie sich aber hingesetzt und mir Deutsch beigebracht. Und meine Eltern haben mir den Kontakt mit anderen Türkenkindern verboten, was eine richtige Entscheidung war. Und sie haben zu meiner Schwester und mir gesagt: Ihr seid Deutsche, die ihre Muttersprache noch nicht beherrschen. Das klang für uns damals seltsam. Jetzt denke ich, es war genau richtig. Also, die Politik meiner Eltern war: keine Isolation, nicht in der Nische verharren. Richtig so! Im Grunde geht es ja um eine Grundsatzentscheidung: Hat man Lust, entspannt zu sein, oder will man lieber ständig jammern und andere Leute damit nerven? Wir, in meiner Familie, hatten eher Lust, gut gelaunt zu sein.

Wickert: Stimmt es eigentlich, dass Ihr Vater Sie ins Türkische übersetzt?

Zaimoglu: Na ja, so kann man das nicht sagen. Er übersetzt immer mal wieder einzelne Partien, für meine Mutter, die zwar hervorragend Deutsch spricht, aber bei der es mit dem Lesen von deutschen Texten manchmal hapert. Sie ist dann schneller im Bilde und weiß, worum es in einer neuen Geschichte von mir geht. Aber in der Tat: Einen Roman hat er auch ganz offiziell und in voller Länge ins Türkische übertragen. Dabei hat er sich sehr viel Mühe gegeben, das Buch zu „versittlichen“, wie er sich auszudrücken beliebt, will sagen: Alle unanständigen Ausdrücke hat er gestrichen und durch harmlose ersetzt.

Wickert: Empfinden Sie sich als Muslim?

Zaimoglu: Ich bin nicht religiös als Moslem, wie das ein Christ sagen würde, im Sinne des Kinderglaubens, dass es einen guten Gott gibt, dass es Gut und Böse gibt und dass nicht alles aufhört, wenn man stirbt. Das Religiöse ist mir fremd, weil es auch immer mit Lebensferne oder Lebensverneinung zu tun hat. Daher würde ich sagen: Ich bin Moslem in dem Sinne, dass ich an Gott glaube, aber nicht mehr.

Wickert: Sie wurden 2009 von den Grünen zum Wahlmann für die Bundesversammlung bei der Wahl des Bundespräsidenten ernannt. Haben Sie da zugesagt?

Zaimoglu: Ja, natürlich. Ich dachte, wie schön, ich fahre nach Berlin, zur Bundespräsidentenwahl, das ist ja wunderbar. Ich habe, das habe ich auch öffentlich gesagt, Frau Schwan gewählt. Wie das immer in meinem Leben so ist, wenn ich wähle, verliert die Person oder die Partei, die ich wähle. Das ist ja auch schon bedenklich. Es war trotzdem eine gute Erfahrung, weil ich mit Menschen ins Gespräch kam, die ich sonst aus Film, Funk und Fernsehen kannte. Man führte politische Gespräche. Es war nicht einfach, so nach dem Motto der Kieler Zaimoglu macht mal einen Berlinausflug, sondern wir wurden alle wirklich gefordert, von morgens bis abends. Da war nicht angesagt, sich mal etwas anderes anzugucken. Es war nett. Es war gut. Und meine Kandidatin hat verloren.