Ulrich Wickert

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Ulrich Wickert: „Dieser Hass war immer schon da“

27.02.2022, diepresse.com

Der deutsche Journalist und Fernsehstar Ulrich Wickert erklärt, warum ihm die öffentliche Stimmung in der Pandemie nicht so schlimm vorkommt. Der Unmut sei schon früher aus dem „Frust junger Leute“ gekommen, nicht von links oder rechts. Die österreichische Politik empfindet er als Krimi, die „Herrschenden von Silicon Valley“ sind ihm unangenehm.

Herr Wickert, wie betrachten Sie die seltsam aufgeheizte öffentliche Stimmung in der Pandemie?

Ulrich Wickert: Das Bedauerliche ist, dass viele Leute nicht bedenken, was schon einmal war. Wenn Sie in den Sechzigerjahren ein Sozialdemokrat waren und Ihren Ortsverein bei sich tagen ließen, konnte es sein, dass Ihr CDU-Hauseigentümer Ihnen gekündigt hat. Damals gab es unglaublichen Hass. Es entstand die NPD. Manchen war die nicht rechts genug, also kam die Aktion Widerstand. Das waren Dinge, die vergleichbar sind mit jetzt – wenn nicht sogar schlimmer.

Sie haben in Ihrer Studentenzeit recherchiert, welcher Ihrer Professoren bei den Nazis gewesen war.

Ich bin dann fast rausgeflogen deswegen. Da gab es für mich irrsinnige Sachen: Der Leiter des luftfahrtmedizinischen Institutes war ein Professor, der mit Mengele (Josef, Anm.) zusammen Menschenversuche im KZ gemacht hat. Das muss man sich vorstellen! Der war Professor an der Uni! Gut, durch die Aktion, die wir gemacht haben, musste er gehen. Aber er blieb der Berater der Lufthansa. Das war eine Zeit damals, die ganz anders geprägt war.

Sie haben sich später als Moderator der Nachrichtensendung „Tagesthemen“ immer wieder gegen Rechtsextremismus gestellt. Wurden Sie dafür angefeindet?

Ich bekam entsprechende Post. Wenn Rechtsradikale mir etwas schrieben, bekamen sie von mir immer nur eine Antwort: „Sie sind feige! Sie trauen sich noch nicht einmal, den Film ,Schindlers Liste‘ anzugucken. Erst wenn Sie das getan haben, können Sie mit mir diskutieren. Punkt.“

Kam daraufhin etwas zurück?

Es passierte mir ab und zu, dass jemand antwortete und sagte: „Entschuldigung, ich habe es nicht so gemeint.“ Damals war es schwieriger, die mussten einen Brief schreiben. Ich glaube aber, dass dieser Hass schon immer da war. Ich habe in meinem Buch „Der Ehrliche ist der Dumme“ im Jahr 1994 über eine Untersuchung zu Hass geschrieben, der von jungen Männern in Sachsen und anderen Gebieten geäußert wird. Da kam heraus: Das hat mit links und rechts nichts zu tun, sondern mit dem Frust dieser jungen Leute. Jetzt lese ich ein Interview mit dem Verfassungsschutzpräsidenten, und der sagt genau das Gleiche heute. Ich frage mich: Warum hat die Gesellschaft in den vergangenen 25 Jahren nicht gelernt, damit umzugehen?

Ihr Buch wird gerade mit einem neuen Vorwort neu aufgelegt, der Untertitel lautet: „Über den Verlust der Werte“. Zu diesen Stichworten: Verfolgen Sie die österreichische Politik?

Natürlich, das Ganze läuft ja wie ein Krimi oder Thriller ab. Das ist nicht so langweilig wie in England, wo der Boris halt eine Covid-Party macht. Nein, nein, das ist schon stärker.

In Deutschland scheinen viele von den Nachrichten schockiert zu sein, die in den vergangenen Jahren aus Österreich kamen.

Wie sollte man nicht schockiert sein, wenn man dieses Ibiza-Video sieht und hört, was darin gesagt wird? Bis hin zu diesen Geschichten mit dem ehemaligen Kanzler Sebastian Kurz. Dieser ist sehr gestützt worden von der „Bild“-Zeitung. Das Erstaunliche ist, dass der Springer-Verlag und Döpfner (Matthias, der Chef des Springer-Verlags, dem die „Bild“ gehört, Anm.) ihn immer hofiert hat. Springer hat Peter Thiel einen Preis gegeben, bei dessen Verleihung Kurz die Rede halten sollte, jetzt ist Herr Kurz bei Herrn Thiel angestellt worden. Der Sohn von Döpfner arbeitet bei Thiel. Das ist eine Kombination, die einen doch nachdenklich macht.

Der deutschstämmige Tech-Investor und US-Milliardär Peter Thiel hat den gezielten Bruch mit den Regeln zu seiner Maxime gemacht, er fordert selbst in der Demokratie mehr „Disruption“. Wie sehen Sie das?

Ich fürchte, das sieht nicht nur Peter Thiel so, sondern alle Herrschenden von Silicon Valley. Die sagen: Wir wollen eine völlig neue Welt, und die gestalten wir. Wir geben die neuen Regeln vor. Das finde ich sehr unangenehm. Die Regeln sollen bitte nicht von diesen Leuten entwickelt werden, sondern sich aus der Gemeinschaft heraus entwickeln und verändern.

Sie selbst waren in den Siebzigerjahren gut acht Jahre lang SPD-Mitglied. Wieso?

Es gab Anfang der Siebzigerjahre etwas, was Berufsverbot genannt wurde. Das Wort durfte man bei uns im Sender dann nicht mehr benutzen, es hieß später der Radikalenerlass. Eines Tages kam von einem scheidenden Chefredakteur, einem Münchner CDU-Mann, die Bitte, zu ihm zu kommen. Er sagte: „Herr Wickert, wir brauchen nicht lang. Sie sind eine Katastrophe! Sie können meinetwegen Kommunist sein, aber beim WDR haben Sie nichts zu suchen, tschüss!“ Da kriegt man einen Schreck. Wenn er ein Testament hinterlässt, in dem er mich als Kommunist diffamiert? Das konnte in diesen Tagen durchaus gefährlich sein.

Wie? Sie sind zur SPD, damit klar war, dass Sie kein Kommunist sind?

Das war wirklich ein Schutzmechanismus. Es waren die Zeiten der Willy-Brandt-SPD. Ich habe mich dazu bekannt, mich aber mit der SPD nicht immer in Einklang befunden.

Wieso sind Sie dann wieder ausgetreten?

Ich wurde aus der SPD ausgeschlossen, weil ich als Korrespondent ins Ausland ging und keine Mitgliedsbeiträge mehr bezahlte. Ich bin der Meinung, man darf als Bürger Mitglied einer Partei sein. Man sollte als Journalist nicht für diese Partei schreiben. Beigetreten bin ich aber, um nicht als Mann der Deutschen Kommunistischen Partei diffamiert zu werden.

Sehen Sie sich als Haltungsjournalist?

Der Begriff ist modern, ich würde das nicht auf mich beziehen und auch nicht auf einen großen Journalisten in Österreich, Herrn Wolf (Armin, Anm.). Er hat eine Haltung, aber er ist kein Haltungsjournalist. Er lebt von seiner Haltung, die ihn auch in Schwierigkeiten bringt.

Wie oft waren Sie in Ihrer Karriere mit Druck aus politischen Parteien konfrontiert?

Als ich 1991 den Job als Moderator angenommen habe, sagte ich in allen Interviews: „Sobald mich ein Politiker anruft und Druck ausübt, werde ich es sofort öffentlich machen.“ Es hat mich ein einziges Mal einer angerufen: Norbert Blüm (Arbeitsminister von 1982 bis 1998, CDU, Anm.). Er sagte: „Herr Wickert, Sie hatten bei Ihrem Beitrag den völlig falschen Gesprächspartner, wie können Sie das machen? Ich springe aus dem Fenster!“ Da habe ich geantwortet: „Herr Blüm, das ist nicht schlimm. Sie wohnen im ersten Stock.“

Das war’s?

Er hat gelacht, damit war das Gespräch zu Ende. Der Sender hat Druck von außen nie zu mir durchdringen lassen. Als 1998 die rot-grüne Koalition sagte, wir verändern das Staatsbürgerschaftsrecht vom jus sanguinis zum jus solis, habe ich im Fernsehen nie jus sanguinis gesagt – sondern Blutrecht. Das ist ja die Übersetzung des Wortes. Wenn Sie dann aber sagen, die CDU sei gegen die Veränderung des Blutrechts, sagt jeder: Dieses Nazi-Wort, um Gottes willen! Eines Tages treffe ich einen Redakteur auf dem Flur. Er fragte: „Herr Wickert, warum sagen Sie eigentlich immer das Wort Blutrecht?“ „Weil es die Übersetzung ist. Wieso fragen Sie?“ „Ich muss eine Antwort an den Verwaltungsrat entwerfen, die der Intendant diesem schicken muss.“ Da habe ich gemerkt, die CDU hat sich beim Rundfunkrat beschwert, aber der Druck ist im Haus nicht weitergegeben worden. Das fand ich gut.

Sie haben öfter als andere Fremdwörter ins Deutsche übersetzt.

Ich glaube, das ist sehr wichtig. Ich habe nie von Sanktionen der UNO gesprochen, sondern von Strafmaßnahmen. Jedes Kind weiß, was eine Strafe ist. Aber gegen welches Kind sind schon Sanktionen erlassen worden? Es ist wichtig, dass man Begriffe klar benennt. Ich habe zum Beispiel nie Holocaust gesagt, die Leute wissen nicht, was das ist. Ich habe immer Judenvernichtung gesagt. Irgendjemand sagte zu mir: „Aber wie kannst du Judenvernichtung sagen? Das klingt nach Ungeziefer.“ Ich sagte: „Genau. Das war auch damals so gemeint.“

Fiel es schwer, sich von Ihrer Zeit auf dem Bildschirm und dem damit einhergehenden Ruhm zu trennen?

Nein. Sehr freundschaftliche Briefe von Damen habe ich weggeworfen. Ich hatte oft Probleme mit den Reaktionen der Leute auf der Straße. Ich habe ruppig reagiert, da sagte meine Frau mir einmal: „Die meinen das doch nur nett!“ Ich habe dann gelernt, nett zu sein.

Herr Wickert, darf man Sie auch fragen . . .

1. . . wie Ihr nächster Krimi heißen wird und wann er veröffentlicht werden soll?

Ich habe gerade das Manuskript abgeben. Das Buch heißt „Die Schatten von Paris“ und kommt im Oktober zur Frankfurter Buchmesse heraus.

2. . . warum Sie mit 73 Jahren nun eine Reihe von Podcasts begonnen haben?

Das ist eine sehr interessante Kommunikationsart, bald kommt die dritte Staffel. Man hat heute ja über das Netz viel mehr Möglichkeit als damals, sich als Journalist selbst zu verwirklichen. Sie sind viel schneller dabei, etwas zu produzieren und es zu veröffentlichen.

3. . . ob es Ihnen schwerfällt, einfach nur die Pension zu genießen?

Ich habe das Lebensmotto, beim Machen nie die Lust aus den Augen zu verlieren. Das ist noch nicht vorbei.

Christoph Zotter